Ein Jahr im Kreis
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Lange Fußballtexte wechselnder Autoren. Von und mit mir.
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Mittwoch, 11. November 2015

Altmeister - Ein Jahr im Kreis #13

Respekt vor dem Alter. Das ist eine wichtige Lektion, die einen der Fußball der Kreisklasse lehrt. Wie das sein kann?

Es nützt alle Athletik und Technik nichts, wenn man sie nicht effizient einsetzt. Natürlich lassen sich Bewegungsabläufe wie Ballan- und mitnahmen oder Schusstechnik erlernen und die Voraussetzungen für eine hervorragende Kondition gepaart mit ausreichend Kraft sind wohl nur in einem begrenzten Zeitraum (potentiell) vorhanden, der wohl gefühlt zwischen Mitte und Ende des 3. Lebensjahrzehnts des typischen Freizeitsportlers liegt. Erfahrung kann man dennoch nicht einfach so erlernen.

Im Spitzenfußball werden junge Spieler immer früher reif für die große Fußballbühne, sind mit 18 Jahren bereits hervorragend taktisch geschult und werden Stammspieler in den Teams, deren Spiele man Woche für Woche im Fernsehen verfolgen kann. Mit Ende der 20er beginnt der Stern vieler Profifußballer bereits wieder zu sinken. Die Belastungen eines Leistungssports, der mitunter im 3-Tages-Rhythmus Höchstleistungen abverlangt und in den letzten Jahren deutlich schneller geworden ist, hinterlassen ihre Spuren.

Dieses Verbrauchtsein sucht man im Amateurfußball vergebens. Hier gibt es ihn noch, den 2. oder 3. Frühling erfahrener Fußballer jenseits der 35 oder gar 40. Erfahrung wiegt hier so viel mehr als in der Bundesliga. Wer auf Bezirks- oder Verbandsebene sein fußballerisches Dasein fristete, der kann ein paar Klassen tiefer getrost noch 5-10 Jahre dranhängen. Wenn ich an meine taktische Ausbildung im Jugendbereich zurückdenke, ist das kein Pfund mit dem sich wuchern lässt. Da waren, trotz ansonsten relativ fortschrittlicher Trainingsformen, ein paar Nachmittage vor der Taktiktafel und ein paar einstudierte Spielzüge. Was ich über mannschaftstaktisches Verhalten gelernt habe, habe ich auf dem Platz gelernt. Auf die harte Tour. Ein Grund mehr, der Erfahrung so wichtig macht.

In den eigenen Reihen hatte auch mein Team von Zeit zu Zeit den einen oder anderen Altmeister. Da war Bernd, der 15 Jahre eine Abwehr auf Bezirksebene zusammenhielt, immer am Rande des Abstiegs, aber eben nie abgestiegen. Diese Erfahrungen ließen ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein entstehen. Zu Recht. Bernd kam immer pünktlich, auch wenn er bis kurz vor Anpfiff noch auf dem Bau schuftete. Trotz Kettenrauchens war er mit Mitte 40 noch fitter als ich. Er foulte höchst selten und ging auf dem Platz der gepflegten Konversation nach. Er konnte das Spiel lesen und das ließ er jeden wissen.

Ein nicht enden wollender Schwall an Erläuterungen, Befehlen und Interpretationen ergoß sich über das Spielfeld. Noch im Sprint gab er seinen Mitspielern Anweisungen und setzte seinen Gegenspieler darüber in Kenntnis, was er, also der Gegenspieler, als nächstes tun würde, und was er dagegen unternehmen würde. Bernd war ein Puppenspieler und die restlichen 21 Mann auf dem Platz seine Marionetten. So gern man sich darüber aufregen wollte, man konnte nicht. Bernd lag einfach zu oft richtig. Guter Mann.

Ein anderer "erfahrener Recke" war Silvio. Er stand uns aus beruflichen Gründen selten bis nie zur Verfügung, aber wenn er da war, wurde er bedingungslos aufgestellt. Im Sturm. Ein Mittvierziger. Er war nicht besonders groß und so erzeugte seine Erscheinung auf dem Platz zunächst wenig ehrfürchtige Reaktionen beim Gegner. Was würde der kleine, alte Mann schon ausrichten können. Silvio war auch nicht besonders schnell und seine Puste reichte kaum für 45 Minuten. Auch musste ihm der Ball stets in den Fuß gespielt werden. Laufduelle ging er, verständlicherweise, nur halbherzig an. Wenn man es genau nimmt, war seine beständige unhinterfragte Aufstellung eher eine Respektsbekundung ihm gegenüber. Silvio war dennoch eine Waffe. Er konnte schießen UND er war technisch versiert. Das bedeutet, Silvio war in der Lage, den Ball in der Bewegung und unter Druck anzunehmen, abzuschirmen und einen passablen Torschuss abzugeben. Silvio trat alle Ecken und Freistöße. Er konnte den Ball aus dem Stand ansatzlos gezielt aufs Tor schießen. Das mag sich profan anhören, ist aber eine Gabe, die man nicht oft vorfindet. Sicher, andere sind schneller, aber sie laufen zur falschen Zeit an den falschen Ort, schießen überhastet, sind unkonzentriert. Es ist ein Trauerspiel ein 18-jähriges Sturmtalent seine ersten Schritte im Männerbereich machen zu sehen. Man sieht die Geschwindigkeit, die Technik, die Athletik und fragt sich: warum macht er nichts daraus, wieso wirkt er wie ein Fremdkörper? Silvio hatte Routine und wusste, was zu tun war.

Ähnliches galt für Gerd, der noch ein paar Jahre älter als Silvio war. Noch mit Mitte 50 schnürte er die Fußballschuhe und agierte als Mittelstürmer. Bis zu seinem endgültigen Karriereende hatte es mehrere Rücktritte von Rücktritten gegeben. Die Fußballschuhe waren bereits in der heimischen Garage an die Wand genagelt, der Abschied begossen worden, als doch wieder ein Anruf kam: Wir brauchen dich! Und Gerd war nicht irgendein gealtertes Maskottchen, er war die erste Wahl, wenn es um die Aufstellung des Mittelstürmers ging. Seine fußballerischen Fähigkeiten rückwirkend zu beschreiben, fällt mir schwer. Ich kann mich nur erinnern, dass er immer sein Ding machte. Sein Tor schoss, wenn er den Ball in aussichtsreicher Position bekam - Gerd war ein Knipser. Er machte keine Übersteiger, er musste nicht sprinten. Er wusste, wo er zu stehen hatte, nahm den Ball mit und schoss gezielt in ein Eck. Gerd trat alle Elfmeter. Gerd versenkte alle Elfmeter.

Ein gutes Gefühl, ein paar solcher Fußballer im eigenen Team zu wissen. Ein schlechtes Gefühl, gegen sie antreten zu müssen. Natürlich gab es auch die Notnägel, die alten Fußballer, die vom Mittagstisch weg und auf den Platz geholt wurden. Die Kondition tendierte gegen null, die Bewegungsabläufe wirkten unrund, teilweise kam auch noch eine längst nicht mehr gängige Härte zum Einsatz, die die Altgedienten im fußballerischen Rentenalter nicht ablegen konnten. Diese Spieler waren es nicht, die mich Respekt vorm Alter auf dem Fußballplatz lehrten. Es waren auch nicht einzelne Routiniers, die mich zu dieser Einsicht brachten. Es war ein ganzes Team, pardon, alter Säcke, das mich Demut lehrte. Demut in Anbetracht meines jugendlichen Alters, meiner fehlenden Erfahrung und meiner beschränkten fußballerischen Fähigkeiten.

Symbolbild mit freundlicher Genehmigung von Sasa 1)
Dieses Team setzte sich aus Ü35-Spielern zusammen, die in Ermangelung einer ihrem Alter angemessenen oder ihnen gewachsenen Gegnern in ihrem Alter in unserer Liga antraten. Von außen betrachtet war es ein Klub alter Männer, die ihre besten Tage lange hinter sich hatten. Was sollten sie schon gegen eine demografisch ausgeglichene Mannschaft ausrichten können. Und überhaupt, nach 60 Minuten würde ihnen die Puste ausgehen. Bei der ersten Begegnung mit dieser Mannschaft überlegten die Jungspunde in unseren Reihen jedes Mal, welch einfach Ding es wäre, an den lahmen, unbeweglichen, leicht übergewichtigen Altherren vorbeizuschweben und ein paar Tore zu schießen. Jeder 18-jährige, der neu zu uns stieß und mit leuchtenden Augen die trägen alten Männer beim Aufwärmen beobachtete, musste die bittere Erfahrung machen, dass sich Vorstellung und Realität in keinster Weise deckten.  

Abgekochte, technisch beschlagene und ehrgeizige Ex-Bezirkliga-Spieler belehrten sie eines Besseren. Jedes einzelne Mal. Auf dem Papier sahen die Ansetzungen harmlos aus. Das Team firmierte als 3. oder 4. Vertretung der Herrenmannschaft. Hinterlistige Tarnung. Die Spiele glichen einer Demonstrationsveranstaltung: seht her, so wird Fußball gespielt. Jeder Pass fand den Weg zum Mitspieler, viel gelaufen mit Ball wurde eh nicht. Direktes Passspiel, Doppelpässe, kontrollierter Spielaufbau, taktische Disziplin, mit Bedacht vorgetragene Spielzüge. Das hört sich nach einer schönen Herausforderung im Ligatrott, einer anspruchsvollen Aufgabe, an. Es war der gottverdammte Mount Everest!

Kein Kraut war gegen diese Typen gewachsen. Hohe Bälle auf die Stürmer bolzen - mit der Erfahrung und dem Stellungsspiel mehrerer tausend Kopfballduelle wurde alles routiniert weggeköpft. Die Verteidigung aggressiv stören und Fehler erzwingen - die alten Herren lächelten müde über unsere Bemühungen und ließen das Bällchen laufen. Sich zurückziehen und die Angriffe der Grauen Panther abwarten - sie kombinierten sich schnell und geschmeidig durchs Mittelfeld, keine Chance ein Bein dazwischen zu stellen. Auch das Konditionsargument zog nicht: den alten Männern wird doch irgendwann einfach die Puste ausgehen? Falsch gedacht! Die durchtrainierten Sportsmänner verfügten über eine passable Ausdauer - nach 60 Minuten ausgepumpt waren stattdessen: wir. Das ewige Hinterherlaufen ließ die Beine schnell müde werden. Es gab keinen Plan, nicht mal einen hypothetischen, wie dieser Gegner zu bezwingen war.

So waren die Spiele meistens kein Vergnügen. Sie entbehrten jeglicher Spannung und es herrschte eine gewisse Apathie in unseren Reihen. Den letzten, vor dem Spiel zusammengekratzten, Mut nahm einem meist die Altherrenauswahl mit dem ersten Treffer. Danach ließ man nur noch laufen. Die Rentnertruppe dominierte das Geschehen auf dem Platz  nach Belieben. An die Wand gespielt von einem Haufen ergrauter, dickbäuchiger Onkeltypen. Eine Demütigung. Ehrgeiz war in einem solchen Spiel fehl am Platze. Versuch gar nicht erst dich anzustrengen. Du kannst noch so schnell bei und eng an deinem Gegenspieler sein - er findet den Weg an dir vorbei - eine Körpertäuschung, ein leichtes Antippen des Balles, ein zentimetergenaues Abspiel - alles genau so getaktet, dass du immer einen Schritt zu spät kommst. Es hatte keinen Sinn und es sah lächerlich aus, von einem Team mit einem Altersschnitt jenseits der 35 an die Wand gespielt zu werden.

Aber wie gesagt, diese Spiele lehrten mich, auf was es im Fußball außer Kraft und Ausdauer noch ankommt. Erfahrung und Technik in perfekter Symbiose konnte man mit Kampf und Schnelligkeit nicht aufholen. Für mich selbst wusste ich, dass ich nie in die erfahrungstechnischen Sphären dieser Typen vorstoßen würde. Ich würde einfach nur langsamer und behäbiger werden bei nur leicht verbesserten Erfahrungswerten. Ich würde kein “erfahrener Recke” werden. Ich würde später mal einer von diesen alternden Notnägeln sein, die man telefonisch 15 Minuten vor Abfahrt zum Auswärtsspiel beim Tabellenersten vom Mittagstisch weglotsen würde.

Auch in der Saison, um die es hier geht, hatten wir beide Spiele an die Oldies abgeschenkt. Sie durch aggressives Spiel zu reizen, weckte nur noch mehr Ehrgeiz und implizierte eine schmerzhaftere Niederlage. Wenn man ein solches Spiel wie einen Altherrenkick anging und dann 1:4 verlor, war das allemal ein besseres Gefühl, als sich die Seele aus dem Leib rennend, sechs Tore eingeschenkt zu bekommen.

Wie es aber immer so ist und was vor allem den Fußball so spannend macht: Der Reiz liegt nicht im Alltäglichen sondern im Außergewöhnlichen. Je öfter man das Gleiche auf dem Platz erlebt und sieht, desto exotischer und spannender sind die Momente, die vom Gewöhnlichen und der Norm abweichen. Das fängt bei einem Tor, einem schnöden Punktgewinn, an. Das Nonplusultra sind Außenseitersiege. In meinem begrenzten Kreisklassenfußbalkosmos war das Nonplusultra kein Sieg gegen Real Madrid sondern ein achtbares Ergebnis gegen die Altherren-Auswahl zu erzielen.

Es war in unserer legendären Aufstiegssaison, in der wir über einen Kader verfügten, der stets mit Spielern der 1. Mannschaft verstärkt wurde. Spiel um Spiel wurde gewonnen, teilweise in überlegener Manier. Sogar von mir selbst konnte ich damals behaupten, eine gute Runde gespielt zu haben - das muss das Selbstvertrauen oder “der Lauf” sein von dem die Küchenpsychologen im Doppelpass immer reden. Die Altmeister waren dennoch ein Prüfstein. Je mehr man sie herausforderte, desto mehr waren sie zu leisten im Stande. In der Regel spielten sie mit angezogener Handbremse - man will sich ja nicht verausgaben an seinem freien Nachmittag.

Wir verlangten ihnen in unserer Aufstiegssaison alles ab. Ich kann mich nicht an viele Siege und die dazugehörigen Spielverläufe lebhaft erinnern, aber dieses Spiel gehört definitiv dazu. Das vorentscheidende 3:1 war ein wunderschön vorgetragener Konter, den ich, kurz zuvor ausgewechselt, von draußen beobachtete. Ich verspüre selten bei einem Kreisklassenspiel ekstatische Freude oder verfalle gar in Siegestaumel. Aber dieses Tor, dieser Sieg gegen die alten Männer hatte einen besonderen Wert. Man merkte, sie hatten alles in die Waagschale geworfen und es hatte nicht gereicht. Wir hatten die Rentnertruppe besiegt. Die damit verbundene überschwängliche Freude war vor allem der Einmaligkeit des Ereignisses geschuldet.

Es sollte niemals danach wieder etwas gegen dieses Team zu holen geben. Bei jedem Aufeinandertreffen erhielt ich einen Auffrischungskurs in Sachen Respekt vor dem Alter. Die Niederlage in der hier beschriebenen Saison passte perfekt in eine Phase, die sich als Frühjahrsapathie umschreiben lässt: Ergebnisse sind egal, an der Tabellensituation ändert sich in den verbleibenden Spielen eh nur noch wenig. Die zum Leben erwachende Natur kontrastierend, befindet man sich in einem ignoranten Dämmerzustand, was den Ausgang der Partien betrifft. Nur noch die letzten paar Spiele über die Runden bekommen, denkt man sich.

Was einen motiviert und die Stimmung ein bisschen aufhellt, ist die Erinnerung an Spiele, die einen besonderen Ausgang nahmen:

“Weißt du noch, damals, als wir die alten Männer besiegt haben?”  



1) Sasa ist Groundhopper und stellt auf seinem Blog seine Bilder aus den Stadien Serbiens vor - die Veröffentlichung hier erfolgt mit seiner Genehmigung - vielen Dank!

Dienstag, 27. Oktober 2015

Der WM-Komplex - ein Dossier

Der Skandal um die WM 2006 bleibt aktuell. An dieser Stelle werden die Ereignisse und ihr Fortgang zusammengefasst - dieser Artikel soll ständig wachsen und die wichtigsten Entwicklungen objektiv abbilden.

Inhalt



Worum geht es hier eigentlich?


In einem Text des Spiegels wird ein schwerwiegender Vorwurf erhoben: 2005 überweist das WM-Organisationskomitee (OK) 6,7 Mio. €. An wen und wofür ist nicht endgültig geklärt. Der Spiegel sammelt Indizien und Hinweise, dass das Geld für Adidas-Chef Robert Louis Dreyfus (RLD) bestimmt ist, der das Geld zuvor dem OK geliehen hat. Wurde damit die WM nach Deutschland geholt? Und falls dem nicht so ist, warum taucht das Geld nirgends in den Büchern des OK auf.

Wer sind die wichtigsten Personen? 


Franz Beckenbauer
Die Lichtgestalt des deutschen Fußballs war der Kopf des Bewerbungskomitees, das die WM 2006 nach Deutschland holen sollte und leitete später das Organisationskomitee (OK). Er stand nicht nur den beiden wichtigsten Gremien im WM-Komplex vor, sondern pflegt auch sehr enge Beziehungen zu fast allen Beteiligten. Die Geschäftsgebahren und sein Netzwerk an Kontakten beleuchtet das Porträt "der sanfte Pate" aus dem Jahr 2006.

Günter Netzer
Sehr gut vernetzt in der Welt des Rechtehandels, der lukrativsten Einnahmequelle, wenn es um die Vermarktung von Sportgroßereignissen geht. Er arbeitet für den Rechtevermarkter Infront Sports & Media, der vom Neffen Sepp Blatters, Philippe Blatter, geleitet wird. Infront vermarkete u.a. die WM 2002 und 2006. Saß im Aufsichtsrat des WM-OK. Ein Porträt aus dem Jahr 2002 beleuchtet seine Arbeit als Rechtevermarkter und lässt auch sein Verhältnis zu RLD nicht aus.

Wolfgang Niersbach
DFB-Präsident seit 2012, ab 2007 DFB-Generalsekretär, im WM-OK ebenfalls Vizepräsident und u.a. verantwortlich für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Kurzporträt des diskreten Präsidenten aus dem Jahr 2013.

Robert Louis-Dreyfus († 2009)
Von 1993 bis 2001 Vorstandsvorsitzender von Adidas. Ebenfalls bestens vernetzt mit Sportfunktionären weltweit und der Mann, der Uli Hoeneß Geld für seine Spekulationen lieh. Seine Machenschaften und seinen Werdegang stellt die SZ vor.

Fedor Radmann
Enger Vertrauter Beckenbauers und bestens vernetzt in der Welt des internationalen Sports. Bis 2003 einer der Vizepräsidenten des OK. Das Amt legte er wegen eines Interessenkonflikts nieder - er hatte gleichzeitig einen Beratervertrag mit der Kirch-Gruppe. Ein Kurzporträt aus dem Jahr 2006.

Horst R. Schmidt
1. Vizepräsident des OK, dort zuständig für die Geschäftsführung und Verwaltung, Generalsekretär des DFB, von 2007-2013 Schatzmeister des DFB.

Theo Zwanziger
Ab 2003 ebenfalls Vizepräsident des OK und zuständig für Finanzen. Von 2001 bis 2004 DFB-Schatzmeister. Von 2004 bis 2011 DFB-Präsident. Der SWR stellt seinen Werdegang als Zögling von Egidius Braun vor.


Das WM-OK wurde von einem Aufsichtsrat und ein Kuratorium kontrolliert, in dem u.a. Gerhard Mayer-Vorfelder, Wolfgang Schäuble, Otto Schily und Thomas Bach vertreten waren.

Was ist überhaupt passiert? Eine Chronologie.

Eine Recherche des Spiegels kam zu dem Ergebnis, dass es Indizien dafür gibt, dass bei Bewerbung um die WM 2006 und im Vorlauf der WM mit schwarzen Kassen operiert wurde. Der DFB erhielt vor der Veröffentlichung die Gelegenheit, Fragen des Spiegels zu beantworten, verzichtete aber darauf und kam der Veröffentlichung des Spiegels mit einer Erklärung am 16. Oktober zuvor:
[...]hat sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in den vergangenen Monaten intern mit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 befasst. Im Rahmen seiner Prüfungen hat der DFB keinerlei Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gefunden. Ebenso wenig haben sich irgendwelche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Stimmen von Delegierten im Zuge des Bewerbungsverfahrens gekauft wurden. Im zeitlichen Zusammenhang mit diesen Prüfungen sind dem DFB Hinweise bekannt geworden, dass im April 2005 eine Zahlung des Organisationskomitees der WM 2006 in Höhe von 6,7 Millionen Euro an die FIFA geleistet wurde, die möglicherweise nicht dem angegebenen Zweck (FIFA-Kulturprogramm) entsprechend verwendet wurde. Die Zahlung stand in keinem Zusammenhang mit der bereits rund fünf Jahre zuvor erfolgten Vergabe. [...] 
Der DFB bekräftigt, dass es keine Bestechung bei der Vergabe der WM an Deutschland und lediglich Unregelmäßigkeiten bei einer Zahlung des OK gab.

Dann kam der Spiegel am 16. Oktober mit seinem Artikel, der alle Vorwürfe, Indizien und Hinweise auf den Tisch brachte - hier die Online-Zusammenfassung, Volltext hinter der Paywall.
Die Vorwürfe sind weitreichend. Der Kern des Ganzen: ein OK-Fax aus dem Jahr 2005 mit einer Zahlungsanweisung über 6,7 Mio. € inkl. eines handschriftlichen Vermerks, dass das Geld für "RLD" bestimmt ist. Die Notiz wird Wolfgang Niersbach zugeordnet. Wäre dies der Fall, hätte Niersbach bereits da von der Zahlung gewusst.

Der Text erhärtet den Verdacht, dass es im OK oder bereits in der Bewerbungsphase eine schwarze Kasse gab. Warum der DFB zahlte bzw. was und wofür er wann im Gegenzug erhalten hatte - dafür gibt es nur Indizien. Der Verdacht des Spiegel: Mit dem Geld, das in keiner Bilanz auftaucht, wurden Funktionäre bestochen, um die WM nach Deutschland zu holen. Minutiös beschreibt der Artikel die vielen Ungereimtheiten bei der Vergabe der WM, die auf eine Manipulation schließen lassen. Günter Netzer wird zitiert, dass mit dem Geld die vier abstimmenden Asiaten bei der WM-Vergabe bezahlt wurden. An diese Aussage kann er sich heute nicht mehr erinnern. Das Wichtigste: der Spiegel kann konkrete Konten nennen, an die das Geld geflossen ist und beweist, dass eine Zahlung stattfand.

Der DFB sieht sich schweren Anschuldigungen gegenüber und Präsident Niersbach reagiert am 17. Oktober darauf mit einem Interview - hier zum Nachlesen:



Das Interview bringt allerdings keine neuen Erkenntnisse - Niersbach bekräftigt lediglich nochmal - es gab keine schwarzen Kassen, es wurden keine Stimmen gekauft, nur die Zahlung der 6,7 Mio. € war nicht zweckmäßig.

Die Aussagen von Seiten des DFB beschwichtigen kaum jemanden. Der Druck auf Präsident Niersbach und den Verband wird größer. Erste Forderungen, das Amt des DFB-Präsidenten ruhen zu lassen, werden laut (Anno Hecker in einem Kommentar für die FAZ).

Der DFB lenkt ein und setzt kurzfristig eine Presskonferenz am 22. Oktober an:
Zu diesem Zeitpunkt hat der DFB einen neuerlichen Fragenkatalog des Spiegel vorliegen und weiß um neue Enthüllungen in der kommenden Ausgabe. Die PK von DFB-Präsident Niersbach wird ein PR-Desaster. Zunächst schildert er die Abläufe im Zusammenhang mit der Zahlung der 6,7 Mio. €.

Seine Ausführungen basieren lediglich auf den Aussagen von Franz Beckenbauer aus einem zwei Tage zuvor geführten Gespräch. Demnach habe RLD für den DFB 6,7 Mio. € an die Fifa überwiesen, damit diese einen Zuschuss von 170 Mio. € an das OK zahlt. Später habe RLD das Geld zurückgefordert, allerdings standen dem OK dafür offiziell keine Mittel bereit. Deshalb wurde der Betrag als Zahlung für die Eröffnungsgala getarnt und an die Fifa überwiesen. Als die Gala dann abgesagt wurde, wurde das Geld dementsprechend nicht zurückgefordert. Diese Unregelmäßigkeit und zweckentfremdete Benutzung gibt Niersbach zu.

Die PK wirft dennoch viele Fragen auf: Warum die komplizierte Abwicklung über die Fifa? Wieso kam das Geld von Dreyfus? Hat Niersbach die Zahlung in dem vom Spiegel genannten Fax abgezeichnet? Wolfgang Niersbach wirkt überfordert und kann sich an viele Details nicht mehr erinnern. Mit der PK präsentiert der DFB seine Version der Dinge, allerdings alles andere als überzeugend:



Die Fifa stützt die Aussagen von Niersbach nicht. Sie widerspricht der Schilderung - die Zahlungsvorgänge seien nicht vereinbar mit den Richtlinien de Fifa-Finanzkommission. Nach der PK bleiben vor allem - Fragezeichen.

Ebenfalls am 22. Oktober meldet sich Horst R. Schmidt mit einer Erklärung zu Wort: Er stützt die Version von Wolfang Niersbach.

Der Spiegel legt am 23. Oktober mit einer weiteren Veröffentlichung nach und bezieht sich diesmal konkret auf Theo Zwanziger (Vorabmeldung, Volltext hinter der Paywall):


Die Kernaussage kommt vom Ex-DFB-Präsidenten:
Es ist eindeutig, dass es eine schwarze Kasse gab.
Außerdem belastet er Wolfgang Niersbach - die Handschrift auf dem Fax erkennt Zwanziger als die des aktuellen DFB-Präsidenten; Niersbach hätte schon länger von der Zahlung gewusst, als er behauptet. Zwanziger beruft sich außerdem auf ein Telefonat mit Horst R. Schmidt und bringt den Namen Mohamed Bin Hammam als Empfänger der initialen Zahlung vom DFB ins Spiel - ein deutlicher Hinweis auf Korruption. In seiner Erklärung verliert Schmidt kein Wort über Bin Hammam.

Am 26. Oktober meldet sich Franz Beckenbauer mit einer knappen schriftlichen Erklärung zu Wort (PDF): es wurden keine Stimmen gekauft und er übernimmt als Leiter des WM-OK die Verantwortung für die unzweckmäßigen Zahlungen. Zuvor hatte er bei einer internen DFB-Anhörung Fragen beantwortet. Abweichend von den Erklärungen Niersbachs stellt er fest, dass die Zahlung aufgrund eines Gesprächs mit der Fifa-Finanzkommission (nicht, wie von Niersbach behauptet und von Blatter verneint, in einem Vier-Augen-Gespräch mit dem Fifa-Präsident) angewiesen wurde.

Am 28. Oktober gibt Günter Netzer bekannt, dass er von Theo Zwanziger eine Unterlassungserklärung verlangt: Zwanziger verleumde Netzer, da er behauptet, dass Netzer zugegeben hat, dass mit dem Geld Stimmen für die WM-Vergabe gekauft wurden. Zwanziger hat seinerseits Hinweise für die Bestechung des Neuseeländers Dempsey bei der WM-Vergabe der Bild bereitgestellt und geht nicht auf die Unterlassungserklärung Netzers ein - er bleibt bei seiner Version und steht zum Netzer-Zitat.

Am 29. Oktober meldet sich Fedor Radmann zu Wort:
"Ich könnte beim Leben meiner sechs Kinder beschwören, dass ich felsenfest davon überzeugt bin, dass nicht ein Mensch von uns bestochen wurde. Ich gehe auch so weit: Keiner hat sich irgendwie bereichert"
Zusätzlich kommen Zweifel darüber auf, ob die 6,7 Mio. € wirklich an RLD zurückflossen - der Tagesspiegel fasst zusammen.

Am 30. Oktober erklärt die Fifa, dass sie ebenfalls Ermittlungen zu der fragwürdigen Zahlung durchführen will und den DFB um Hilfe gebeten.

1. November: der aktuelle Chef des maltesischen Verbands meldet sich zu Wort und äußert sich zum Freundschaftsspiel Maltas gegen den FC Bayern 2001. Er bestätigt: sein Verband erhielt 250.000 $ ohne echte Gegenleistung. Das erhärtet den Verdacht, dass das Freundschaftsspiel genutzt wurde, um den maltesischen Vertreter bei der WM-Vergabe für Deutschland zu gewinnen.

Am 3. November teilt die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit:

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat im Zusammenhang mit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und dem Geldtransfer von 6,7 Millionen Euro des WM-Organisationskomitees des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) an den Fußball-Weltverband Fifa Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall aufgenommen.

Es finden Durchsuchungen in den Räumen des DFB sowie in den Privathäusern von Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt statt. Am Mittag gibt Theo Zwanziger eine Pressekonferenz: seine Kernbotschaft - er trägt Mitverantwortung an der verschleierten Zahlung. Während der PK projiziert Zwanziger belastende Dokumente an die Wand, die er anschließend im Saal zurücklässt. Die Forderungen nach einem Rücktritt Wolfgang Niersbach werden lauter und deutlicher.

7. November: Der Spiegel hat verglichen. Die Handschrift der Notiz, die im initialen Spiegel-Artikel erwähnt und auf die Zahlung an RLD verweist, ist mit großer Wahrscheinlichkeit die von Wolfgang Niersbach. Ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass Niersbach die fragwürdige Zahlung schon sehr viel länger bekannt war, als er bisher zugab. Die Enthüllung erhöht den Druck auf den DFB-Präsidenten: am 9. November tritt er, nach einer Sitzung mit dem DFB-Präsidium und den Landesverbänden, zurück.



Der Rücktritt kann erst der Anfang sein - es bedarf eines Kulturwechsels beim DFB, schreibt die Zeit. Am gleichen Abend äußert DFB-Vize Rainer Koch aufgrund aktueller Ergebnisse der internen Ermittlungen:

"Wir müssen uns mit der Frage, wie die WM 2006 vergeben wurde, näher befassen."

Was von allen Seiten bisher immer abgestritten wurde, steht nun auch innerhalb des DFB zur Diskussion: Hat sich Deutschland bei der WM-Bewerbung einen unlauteren Vorteil verschafft? Es soll einen Versuch gegeben haben, Jack Warner für sich zu gewinnen. Den entsprechenden Vertrag haben Franz Beckenbauer und Fedor Radmann zu verantworten. Der DFB teilt am 10. November mit, dass der Vertrag wenige Tage vor der Abstimmung über die WM-Vergabe unterzeichnet wurde. Dieser Hinweis auf einen Bestechungsversuch erhöht den Druck auf Franz Beckenbauer.


Wer untersucht die Sache?

Der DFB hat laut eigener Aussage bereits intern Ermittlungen vorgenommen, die zu dem Schluss kamen, dass für die WM-Bewerbung nicht mit schwarzen Kassen operiert wurde, wann genau diese Ermittlung stattfand (und somit auch intern bekannt war, dass Aufklärungsbedarf besteht) - darüber gibt es unterschiedliche Aussagen.

Mittlerweile hat der DFB auch eine Wirtschaftskanzlei eingeschaltet, die den Vorgang untersuchen soll. Der DFB bekräftigt, dass die Angelegenheit mit Nachdruck verfolgt wird. Es gibt aber auch Zweifel an der Unabhängigkeit der Kanzlei - der Leiter des DFB-Präsidialbüros und ein Partner der Kanzlei kennen sich.

Darüber hinaus befasst sich der Sportausschuss des Bundestags mit dem Themenkomplex und möchte die Beteiligten befragen.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt handelt ebenfalls - es wurden Durchsuchungen wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung durchgeführt.

Welche Konsequenzen drohen den Beteiligten?

Viele der Dinge, die aktuell zu klären sind und strafrechtlich verfolgt werden könnten, sind inzwischen verjährt. Steuerrechtlich könnte der Vorgang dennoch weiterhin Konsequenzen haben. Die falsch verbuchte Zahlung kann dazu geführt haben, dass der durch die WM erwirtschaftete Überschuss und damit auch die darauf zu entrichtenden Steuern manipuliert wurden.

Darüber hinaus steht natürlich die Reputation der Beteiligten auf dem Spiel. Wolfgang Niersbach kann sich schon jetzt keine Chancen mehr auf eine vor kurzem noch für möglich gehaltene UEFA- oder gar FIFA-Präsidentschaft mehr machen.

Der Schaden für den deutschen Fußball ist schon jetzt enorm. Wie groß das Ausmaß der Ungereimtheiten ist, bleibt weiterhin unklar. Dem von allen Seiten geäußerten Wunsch nach lückenloser Aufklärung scheinen die Beteiligten nicht wirklich nachzukommen. Ein fragwürdiges Schauspiel.

Die Nebenkriegsschauplätze

Niersbach vs. Zwanziger
Wolfgang Niersbach und Theo Zwanziger sind sich nicht grün. Spätestens seit Ende der Zwanziger-Präsidentschaft beim DFB, Niersbach und seine Unterstützer forcierten die Ablösung Zwanzigers, ist das Verhältnis vergiftet. Auf der einen Seite Zwanziger, der als DFB-Präsident mehr Veränderungen anstieß, als dem einen oder anderen lieb war. Auf der anderen Seite Niersbach, der stets im Sinne der DFB-Oberen handelte. Zwanziger scheint nun mit seiner Sicht der Dinge alleine dazustehen.

Niersbach, sein DFB und Beckenbauer scheinen eine gemeinsame Argumentationslinie zu fahren. Oli Fritsch fasst das Verhältnis Niersbach-Zwanziger gut zusammen. Worauf die Feindschaft der beiden fußt, erläutert auch Günter Klein anekdotenreich.

Die Deutungshoheit in den Medien
Der Spiegel war nicht zimperlich bei seinen Enthüllungen. Die versickerten 6,7 Mio. € und die zahlreichen Indizien, die für eine Manipulation der WM-Vergabe sprechen, lassen die getroffenen Aussagen und Vermutungen jedoch plausibel erscheinen. Viele andere Medien machten das, was man in diesem Moment erwarten würde - sie forderten Aufklärung von Seiten des DFB.

In einigen Medienhäusern scheint der Fokus allerdings anderswo zu liegen. Am Sonntag nach der Veröffentlichung des initialen Texts, entschied man sich im Sport1-Doppelpass für eine Axel Springer-lastige Runde, die das Thema stiefmütterlich behandelte. Am Abend führte Sky ein Gespräch mit dem am Spiegel-Text beteiligten Journalist Jens Weinreich. Dieser wurde unvorbereitet mit den Äußerungen des ebenfalls zugeschalteten und den DFB vertretenden Medienanwalts Christian Schertz konfrontiert. Weinreich reagierte ungehalten - die Bild griff seinen Fehlgriff auf.

Als Außenstehender wurde man das Gefühl nicht los, das vor allem die Bild eher an der Diskreditierung des Spiegels und seiner Autoren, denn an einer Aufklärung des Sachverhalts interessiert war. Welche Querverbindungen es zwischen Beckenbauer, Bild und DFB gibt, beleuchtet dieser Text in der Taz.

Im Vorfeld der Niersbach-PK veröffentlichte die Bild, namentlich deren Sportchef Alfred Draxler einen Text, der das Zustandekommen der 6,7 Mio. € Zahlung erklären sollte. Exakt der gleichen Argumentation folgte wenig später auch Wolfgang Niersbach. Natürlich finden sich auch kritische Töne in Bild und anderen Axel Springer Medien, aber der Eindruck bleibt, das die Berichterstattung nicht 100 % ausgewogen ist.

Den Schlagabtausch in den Medien erläutert auch das Bildblog.

Nach und nach rückt(e) die Bild von ihrer bedingungslosen Unterstützung der DFB-Argumentation ab. Am Tag des Rücktritts von Wolfgang Niersbach, konnte Jens Weinreich einen gewissen Meinungswandel ausmachen. Nachdem die Verstrickungen Franz Beckenbauers durch die DFB-internen Ermittlungen zu Tage gefördert wurden, sah sich Alfred Draxler genötigt sich öffentlich zu entschuldigen (das Bildblog fasst wiederum zusammen).

Trügerische Salamitaktik

Die Protagonisten des Skandals geben nicht mehr zu, als sich ohnehin nicht mehr leugnen lässt. Das scheinbare Taktieren der Beteiligten wirkt nicht gerade Vertrauen erweckend. Bis auf Theo Zwanziger scheinen sich die Protagonisten auf eine Version der Geschichte verständigt zu haben.

Vom Hörensagen

Das Meiste, was ans Licht der Öffentlichkeit kommt, fußt auf Erinnerungen, nicht auf Beweisen. Von Gesprächen und ihren Verläufen gibt es keine Protokolle sondern nur sich teilweise widersprechende Erinnerungen. Die Aussage "Ich kann mich nicht erinnern" in diversen Abwandlungen bekommt man immer wieder zu hören. Sicher, die fraglichen Ereignisse liegen Jahre zurück, aber das Ausmaß der Erinnerungslücken ist dennoch beachtlich. Die Vorgänge und Beträge, um die es geht, sind schließlich keine Lappalien. Da liegt die Vermutung nahe, dass Erinnerungslücken dem Selbstschutz und der eigenen Entlastung dienen.

Welche Fragen sind offen?

Wofür waren die 6,7 Mio. € bestimmt? Der DFB behauptet als Anzahlung für den Organisationszuschuss der Fifa. Der Spiegel und Theo Zwanziger behaupten, dass es in schwarze Kassen floss.

Warum wurde der Betrag auf so eigenartige Weise hin- und hertransferiert? Die Argumentation des DFB zum Fluss des Geldes macht wenig Sinn und wurde von der Fifa dementiert.

Wer lügt und warum wurde nicht schon früher aufgeklärt? Die Protagonisten haben unterschiedliche Auffassungen darüber, wann sie von dem Missstand erfuhren. Je nachdem, wann dies der Fall war, hätten bereits zu einem früheren Zeitpunkt Untersuchungen in Gang gebracht werden müssen.

Wer hält mich auf dem Laufenden?

Jens Weinreich - einer der Autoren, der Spiegel-Texte. Wenn es um Korruption im Sport geht, ist er DER Experte unter deutschsprachigen Journalisten.

Oli Fritsch - veröffentlicht regelmäßig Hintergrundtexte zum Fortgang des Skandals bei der Zeit.

Günter Klein - schreibt für den Münchner Merkur und kann aus mehreren Jahrzehnten Erfahrung als Sportjournalist schöpfen.

Tim Röhn - ist immer bestens informiert über die Machenschaften in der Fifa.

Ein Slow-Blog der Zeit sammelt kontinuierlich Informatives, Meinungen und Unterhaltsames zu dem Skandal.

Fokus Fußball - die wochentägliche Presseschau mit lesenswerten Links und Analysen.


Stand: 5. November 2015

Gibt es wichtige Aspekte und weiterführende Links, die an dieser Stelle noch nicht berücksichtigt werden - Anmerkungen und Hinweise in den Kommentaren - ich werde den Artikel in den kommenden Tagen aktualisieren.


Bildnachweis:

  • Franz Beckenbauer - Ralf Roletschek [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons
  • Wolfgang Niersbach - Ralf Roletschek [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons
  • Theo Zwanziger - By Heinrich Böll Stiftung from Berlin, Deutschland [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons







Donnerstag, 3. September 2015

Tormaschine - Ein Jahr im Kreis #12

Die Frage der Motivation ist ein gewichtiges Thema beim Kreisklassenfußball. Es muss schon außerordentliche innere Beweggründe geben, die einen dazu bringen, sich Woche um Woche zu einer bestimmten Zeit im Ligabetrieb auf einem Fußballplatz einzufinden. Viel einfacher und günstiger, ohne das ganze Verbandsstatutengeraffel, wäre es, sich einfach mit seinen Bekannten auf dem Bolzplatz zu treffen - privat, freundschaftlich, zeitsouverän. Sich den Punktspielbetrieb in den untersten Ligen anzutun, dafür hat wohl jeder sein ganz persönliches Motiv.

Dank jahrelanger Feldforschung konnte ich eine kleine Typologie zur motivationalen Grundlage bei Kreisklassenfußballern zusammenstellen. Es folgt eine nähere Erläuterung der drei Grundtypen, die in Reinform, gemischt oder ineinander verknäult vorkommen können:

1. Der Wettkämpfer

Der Wettkämpfer ist immer als erster am Sportplatz bzw. am Treffpunkt für die Abfahrt zum Auswärtsspiel. Schließlich kennt er die Termine Wochen im Voraus. Er kann bereits in der ausgehenden Hinrunde die schweren Ansetzungen im kommenden April erläutern, die über den Ausgang der Saison entscheiden können. Plätze und Schiedsrichter, die Wehwechen und Topspieler beim Gegner und allerhand weiteres nischiges Nichtwissen hat der Wettkämpfer stets parat - das sind die Details, die über Sieg und Niederlage entscheiden.

Und genau darum geht es dem Wettkämpfer. Er muss um echte Punkte und Tore kämpfen, sonst bringt das Alles nichts. Trainingsspiele und Freizeitfußball sind ihm verleidet, obwohl er mitunter auch bei solchen Gelegenheiten Wettkampfhärte einstreut, damit ein bisschen was los ist auf dem Platz und sich die Mitspieler davon anstecken lassen.

Der Wettkämpfer scheint keinen Spaß am Spiel als solches zu haben sondern freut sich über Tore, noch mehr aber über Siege und Punkte. Er kann selbst dem gurkigsten Treffer etwas abgewinnen, wenn er nur zu seinen Gunsten fällt. Niederlagen empfindet der Wettkämpfer als Schmach, auch wenn das Spiel noch so dramatisch und abwechslungsreich war. Er ist ein Antreiber auf dem Platz und sieht es gar nicht gern, wenn sich ein Nebenmann hängen lässt. Selbst wenn es bereits 4:0 oder andersherum steht, lässt den Wettkämpfer sein Ehrgeiz nicht los - das Torverhältnis könnte schließlich entscheidend sein.

Fußball ist kein Spiel, es ist heiliger Ernst. Da ist es egal, ob Bundesliga oder Kreisliga.

2. Das verkannte Genie

“Aus dem hätte ein ganz Großer werden können!”
So raunt es bei jeder seiner Ballberührungen im Rentnerblock. Selbst wenn ein Abgleich mit der Realität dieser Aussage nicht standhält und gar die Aussage selbst ein innerer Monolog des verkannten Genies ist. Sie steht in Stein gemeißelt für diesen Spielertyp.

Für das Hängenbleiben auf Kreisklassen-Niveau hat er immer einen ganzen Strauß an Gründen parat: Sei es die Heimatverbundenheit, die ihn von den Fleischtöpfen des Profifußballs abhielt oder wichtige berufliche Weichenstellungen in der Vergangenheit. In den meisten Fällen standen tückische und meist einzigartige Verletzungen der professionellen Ausübung des Fußballsports im Weg - oft im Knie.

Die vom verkannten Genie vorgetragene Diagnose driftet meistens leicht ins Mystische und Dramatische ab, “hätte ich damals so weitergemacht, hätten die mir irgendwann das Bein abnehmen müssen, dabei waren die Scouts von [nahegelegener Viertligist] schon an mir dran, 3 Mal haben sie mich beobachtet, ich sollte zum Probetraining [...] damals”. “Damals” und “früher” sind zentrale Vokabeln des verkannten Genies. Oft schweifen seine Ausführungen in die Vergangenheit und ins Fantastische ab. Man hört sich als Mitspieler die Geschichten gerne an, möchte sie glauben. Wer möchte sich nicht mit einem verkappten Bundesligaprofi das Bällchen zuschieben?

Nur, wie bereits beschrieben, lässt sich im Hier und Jetzt selten ein Hinweis auf das verhinderte Jahrhunderttalent erkennen. Außer in der Attitüde auf dem Platz. Da kommt es den Mitspielern so vor, als würde sich ein Ex-Profi erbarmen, die Amateurkicker etwas an seinem leicht verblassten Ruhm teilhaben zu lassen. Müde trottet das verkannte Genie am Mittelkreis umher und fordert den Ball. Das verkannte Genie muss im zentralen Mittelfeld spielen. Nur dort kann es “die Fäden ziehen” und es fällt nicht weiter auf, dass die körperliche Verfassung bzw. die Motivation zu wünschen übrig lässt.

Außer durch diese zur Schau getragene Lebenseinstellung, fällt das verkannte Genie kaum auf, vor allem nicht fußballerisch. Spielt es doch mal einen passablen Pass, kann man sicher sein, noch oft davon erzählt zu bekommen. Wieder und immer wieder. Sehr anschaulich zwar, aber durch die ständige Wiederholung sehr ermüdend.

3. Der Mitläufer

Es gibt Mitspieler, die stehen auf dem Platz, weil sie das einfach schon seit jeher so machen. Soll heißen: sie verbinden keine innige Leidenschaft oder gar Liebe mit dem Fußballsport sondern Gewohnheit. Der Mitläufer hat sich daran gewöhnt, seinen Job auf dem Platz zu machen. Schließlich müssen ja mindestens elf Leute aufgeboten werden, damit es sich ordentlich spielen lässt.

So bestreitet er Spiel um Spiel, erfüllt seine meist unspektakulären Aufgaben auf dem Platz und freut sich mehr auf das Bier danach als auf den Siegtreffer in letzter Minute. Bloß keine Aufregung! Schließlich handelt es sich nur um ein bisschen Zeittotschlagen am Wochenende. Wer würde da eine Verletzung riskieren wollen?

Würde man den Mitläufer nicht zu jedem einzelnen Spiel persönlich einladen, er würde einfach wegbleiben. Glaubt man seinen Aussagen, so ist das Fußballspielen nur eine Pflicht, eine nicht unangenehme zwar, aber eben eine Pflicht. Der Mitläufer tut, was man von ihm verlangt und das ohne große Leistungsschwankungen.

Symbolbild mit freundlicher Genehmigung von Sasa 1)

Diese Typologie ist selbstverständlich holzschnittartig und unvollständig. Was mich dazu bewogen hat, sie in Gedanken zu entwerfen und niederzuschreiben ist, wie eingangs erwähnt, die Motivationsfrage. Explizit fragte ich mich in Gedanken, was einen speziellen Spieler Antrieb war und ist, dem ich immer wieder in der Kreisklasse gegenüberstand. Sein Name war Dräger oder Träger, nach seinem Vornamen hatte ich nie gefragt. Dieser Typ nervte mich und ich fragte mich ein ums andere Mal, warum verdammt nochmal dieser Dräger oder Träger in der Kreisklasse spielte.

Die Tormaschine


Er war im besten Fußballeralter, athletisch, beweglich, schnell, nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu dick, technisch ordentlich - durchgehend Eigenschaften, die untypisch sind und zu einer Überqualifikation für die Kreisklasse führen. Vor allem war er Stürmer. Und er tat, was ein Stürmer mit diesen Voraussetzungen gegen Abwehrreihen aus alten Säcken und fußballerisch Minderbemittelten halt so tat - er traf am laufenden Band. Gnadenlos, pausenlos, mühelos. Eine Tormaschine.

Das heißt jetzt nicht, das er in jedem Spiel 4-5 Mal den Ball versenkte, aber bekam er das Spielgerät in Tornähe, gab es wenig, was ihn halten konnte und früher oder später machte er seine Bude - oder zwei oder drei. Seine Gegenspieler waren von der Akkumulation an fußballerischen und körperlichen Fähigkeiten permanent überfordert.

So ein Gegenspieler wie dieser Träger oder Dräger konnte einem einen ganzen Nachmittag verleiden, selbst wenn er mal nicht traf. Sein Spiel auf dem Platz hielt einem den Spiegel vor. Da war jemand, der fitter war, schneller war und an einem vorbeispazierte, wann immer es ihm beliebte. Natürlich konnte man ihn mit Fouls stoppen, aber mir fehlte da etwas die Wettkämpfer-Attitüde (vgl. oben) als dass ich mich bei jedem Zweikampf auf unfaire Mittel hätte einlassen können. Was nutzte es am Trikot zu zupfen? Dräger oder Träger oder wie er hieß, spazierte dann zwar nicht mehr weiter Richtung Tor, aber man war sich der Unsportlichkeit der eigenen Aktion bewusst, was einem selbst wiederum die eigene Unterlegenheit nur noch mehr vor Augen führte. Ich fühlte mich bloßgestellt von diesem Typ, der alles besser konnte und noch dazu nicht besonders sympathisch wirkte. (Vielleicht war er auch ein ganz netter Typ und mein Eindruck von ihm war überlagert von meiner Missgunst.)

Ich wollte verstehen, warum er das tat - sich mit uns abgab, mit uns spielte, im wahrsten Sinne des Wortes. Ging es ihm um Selbstbestätigung? Fußball ist eigentlich kein gutes Vehikel, um sich Selbstbestätigung zu holen, wenn man bedenkt, wie hoch die Konkurrenz ist. Kein Sport ist beliebter, kein Wettbewerb größer. Wer unbedingt gewinnen will, sollte sich auf exotischere Sportarten verlegen. Ich kenne Europameister im Billiardkegeln, die Europameister wurden, weil sie es einfach ein paar Mal die Woche übten. Im Fußball stößt man schnell an seine Grenzen bei gleichem Trainingsaufwand. Immer gibt es eine Liga darüber, Spieler und Teams zu denen man aufblickt und die so gut sind, dass man glaubt, sie würden einer ganz anderen Sportart nachgehen.

Es ist ein bisschen wie mit dem Peter-Prinzip auf der Karriereleiter. Jeder stagniert auf einer Position, in einer Liga, der er gerade noch so gewachsen ist. Ist man zu gut, streckt die 1. Mannschaft die Fühler nach einem aus. Ist man zu schlecht, darf man von draußen zuschauen.

Dräger brach dieses Schema - er war kein verbissener Wettkämpfer oder ein über den Rasen stolzierendes verkanntes Genie. Er war einfach eine Klasse besser, spielte uns ohne großes Aufsehen zu erregen an die Wand und machte seine Tore. Der Arsch. Warum machte er das? Es konnte ihm doch nicht genügen, sich Woche um Woche mit uns und anderen Nulpen zu duellieren. In mir verfestigte sich der Gedanke, dass er es einfach nur tat, um uns zu demütigen und sich ein einfaches Erfolgserlebnis zu verschaffen.

So als würde man beim virtuellen Fußballspiel den Schwierigkeitsgrad auf “Anfänger” stellen, um ein paar zweistellige Siege einzufahren. So was macht man doch nicht mit Menschen! Der Sack! Zumal an der Konsole die Steuerung der ganzen Mannschaft in den eigenen Händen liegt. Im Real Life waren seine Mitspieler von ähnlichem Schlag wie seine Gegner. Dräger musste schlampige Pässe erlaufen und von vorne mit ansehen, wie seine Mannschaft bei der Verteidigung des eigenen Tores genauso herumstümperte wie alle anderen Teams auf diesem Niveau. Warum? Warum? Warum?

Über Jahre suchte ich nach einer Erklärung für sein Verhalten. Und hätte ich eine gefunden, sie hätte mich erst zufrieden gestellt, wenn sie diesem Typ attestiert hätte, polymorph pervers zu sein. Ich gönnte ihm den bescheidenen Erfolg nicht. Ich gönnte mir meinen Misserfolg nicht. Die Begründung, dass er einfach für seinen Heimatverein spielen wollte, ließ ich innerlich nicht zu, da musste ein dunkles Geheimnis sein. Ich habe es bis heute nicht ergründet.

Alles Grübeln war vorüber, wenn er einem auf dem Platz gegenüberstand. Die Partie im ausgehenden Winter war tabellenarithmetisch bereits bedeutungslos für uns. Dennoch war ich ehrgeizig. ER sollte kein Tor schießen. Er sollte rennen, sich abstrampeln, arbeiten und nicht mit einem Tor belohnt werden. Er sollte sich so fühlen, wie ich mich nach den meisten Spielen fühlte. So weit der Plan.

Damit dieser in Erfüllung ging, konnte ich mich keineswegs auf meine fußballerischen Fähigkeiten bzw. die meiner Teamkameraden verlassen. Der einzige Erfüllungsgehilfe der mir zur Verfügung stand, war der gute alte Zufall. Der Zufall, der Bälle weghoppeln, Standbeine wegrutschen und Schiedsrichter temporär erblinden ließ. 


Dräger oder Träger oder wie er hieß, zeigte sich von dem von mir stumm herbeigesehnten Zufall unbeeindruckt. Ganz unprätentiös spielte er wieder seinen Stiefel runter. Ein Laufduell - er war schneller. Ein Anspiel - er stellte seinen Körper geschickt dazwischen. Ein Zupfer an seinem Trikot - brachte ihn nicht aus der Ruhe und er konnte selbst entscheiden, ob er weiter Richtung Tor spazierte oder den Freistoß mitnahm. Es war wie immer ernüchternd. Man musste sich gar nicht vornehmen, ihn diesmal aber wirklich in Doppeldeckung zu nehmen und kaltzustellen. 

Chance um Chance erarbeitete er sich, ohne das ein Ende in Sicht oder ihm ein Zeichen der Müdigkeit oder gar Resignation anzusehen war. Ein Tor war ihm lange nicht vergönnt an diesem Nachmittag. Das schien ihn nicht anzuheben, er machte einfach weiter. Ich weiß nicht mehr, wie es geschah. Vor meinem inneren Auge gibt es keinen konkreten Spielzug zu der Situation, in der er letztendlich doch noch traf und unsere Niederlage besiegelte.

War es ein Alleingang, unser Unvermögen oder gar Zufall? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er es sich verdient hatte. Und ich mir auch.




1) Sasa ist Groundhopper und stellt auf seinem Blog seine Bilder aus den Stadien Serbiens vor - die Veröffentlichung hier erfolgt mit seiner Genehmigung - vielen Dank!

Sonntag, 21. Juni 2015

Aus dem Nichts

Es gibt einen Grund dafür, dass auf diesem Blog nicht mehr ganz so regelmäßig Posts erscheinen. Einen guten Grund. Vor etwa 1 Jahr tat ich mich zunächst mit Christoph, später auch mit Alex zusammen, um bei 120minuten.net regelmäßig lange Fußballtexte zu veröffentlichen.

Unser einziger Antrieb war und ist das Publizieren an sich. Wir wollten herausfinden, ob ein Projekt wie 120minuten auf ausreichend Interesse stößt. Ausreichend Interesse, um uns als Motivation zu dienen, weiterzumachen? Ausreichend Interesse von Autoren, die Texte beisteuern wollen ohne monetäre Gegenleistung? Nach einem Jahr kann ich beide Fragen bejahen. Wir haben bereits mit einem Dutzend Autoren zusammengearbeitet und planen schon die nächsten Kooperationen. Wir konnten mit einigen unserer Texte Themen ausführlich beleuchten, die sonst in dieser Form nicht erzählt worden wären. 

So sieht es aus, das Cover unseres
eBooks. Wir haben es
"Auf Ballhöhe" getauft.
Das Beste an 120minuten ist für mich persönlich, dass es ein Gemeinschaftsprojekt ist - erst die Zusammenarbeit macht aus den vielen Einzelteilen ein großes Ganzes. Und daraus haben wir ein eBook gemacht - alle Texte aus dem 1. Jahr 120minuten zum kostenlosen Herunterladen für den eBook-Reader (wir zählen inzwischen bereits über 200 Downloads!).

Wenn man das Büchlein durchblättert, wird einem bewusst, was wir alles in den letzten Monaten auf die Beine gestellt haben - das macht schon ein bisschen stolz. Vielen Dank an alle Autoren und alle Leser, die das möglich gemacht haben.

An dieser Stelle möchte ich mich auch nochmal bei all denen bedanken, die uns unproblematisch Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben. Da ist z.B. Sasa, der auf seinem Blog Groundhopping in Serbia regelmäßig Fotos veröffentlicht. Oder Joseph, der die Stadien Englands bereist und darüber bloggt und twittert. Oder Sascha, der mir als Generalsekretär der CONIFA Bildmaterial aus Abchasien zur Verfügung gestellt hat und eine große Hilfe bei meinen Recherchen war. Vielen Dank!


Freitag, 5. Juni 2015

Die Sickergrube

Sepp Blatter hat seinen Rücktritt angekündigt. Er ist nicht zurückgetreten. Das ist ein feiner Unterschied, der erst im zweiten Moment bewusst wird. Ob sich dadurch an der Arbeit im Weltfußballverband etwas signifikant ändert, ist nicht abzusehen. Das unverständliche Wahlprozedere der Fifa, das jedem Verband, und sei er noch so klein und unbedeutend, die gleiche Relevanz beimisst wie Verbänden mit mehreren Millionen Mitgliedern, bleibt erstmal bestehen. Die Mini-Verbände in der Karibik und die chronisch klammen Verbände in Afrika waren es, die Blatter Stimme um Stimme sicherten. Bekehrt wurden sie mit den Millionen aus den diversen Fifa-Fördertöpfen, die wie ein warmer Geldregen noch auf dem letzten Pazifik-Atoll ein Pro-Blatter-Klima schafften. Früher gab es ja nichts.

Blatter hat es geschafft, den Altherrenklub Fifa in einen international agierenden Konzern zu transformieren, der mit seinem "Premiumprodukt" Fußball-WM Milliarden verdient, die auf die Mitgliedsverbände verteilt werden. Dass das Geld nicht selten versickert? Geschenkt, landet es doch schließlich in den Taschen der Leute, die Blatter wieder und wieder mit ihrer Stimme auf den Thron gehoben haben. Diese Transformation der Fifa und die verschiedenen Förderprogramme werden Blatter immer wieder als Verdienst angerechnet - allein, es ist eine Milchmädchenrechnung.

Sicher, ohne Blatters für den eigenen Machterhalt installiertes Zuwendungssystem gäbe es die finanzielle Unterstützung für die nationalen Verbände nicht. Integrale Bestandteile des Systems Blatter sind aber auch Missmanagement, Korruption und Vetternwirtschaft. Wer sich über die Zusammenhänge informieren möchte, dem sei Thomas Kistners Buch Fifa-Mafia empfohlen, welches viele der jetzt zur Debatte stehenden Missstände bereits vorwegnahm. Eine der Erkenntnisse, die man bei der Lektüre gewinnt, lautet: die Fifa arbeitet hochgradig ineffizient. Großzügige Gehälter, mysteriöse, nicht nachvollziehbare Ausgaben, schlecht ausgehandelte Sponsorenverträge, die alte Bekannte bevorzugen - das ist an der Tagesordnung und sorgt dafür, dass der Fifa viel Geld verloren geht.

Das erkennt, wer sich die Kausalkette WM 2022 ansieht: Die Fifa legt sich entgegen aller objektiven Argumente auf eine WM in Katar fest. Letztendlich muss die Schnapsidee einer Sommer-WM in der Wüste ad acta gelegt und eine Austragung im November und Dezember durchgedrückt werden. Was wiederum dazu führt, dass sowohl die europäischen Großklubs großzügiger für einen verschobenen Spielplan entschädigt werden müssen als auch die amerikanischen TV-Rechteinhaber, bei denen die Winter-WM mit den beliebten US-Sportarten kollidiert. Zur Beschwichtigung werden die Übertragungsrechte für kommende Turniere bereits jetzt zu Vorzugskonditionen verscherbelt und eine für die Fifa lukrative Ausschreibung ist nicht mehr möglich. Dem Fußballweltverband geht dadurch wiederum viel Geld verloren.

Die Vergabe von Übertragungsrechten ist die größte Einnahmequelle für Fußballverbände und seit Jahrzehnten verschenkt die Fifa wegen interner Kungelei vermutlich nicht unerhebliche Beträge. Das wird deutlich, wenn man die Entwicklung der Einnahmen aus Übertragungsrechten bei der Fifa betrachtet. Die Zahlen stammen aus den Financial Reports des Weltverbands. Für jeden WM-Zyklus, also beispielsweise die Jahre 2003-2006, werden in den Berichten die kumulierten Einnahmen aus Übertragungsrechten explizit für die WM-Turniere angegeben. Diese machen den Löwenanteil der Fifa-Einnahmen aus. Die Zahlen lesen sich zunächt imposant:
  • 1999-2002: 1,48 Mrd CHF
  • 2003-2006: 1,66 Mrd CHF
  • 2007-2010: 2,41 Mrd USD
  • 2011-2014: 2,43 Mrd USD
Zwischendrin wurde die Währung gewechselt, von Schweizer Franken zu US Dollar, das lässt die Steigerung von 2006 zu 2010 noch eindrucksvoller erscheinen. Nichtsdestotrotz: die Fifa konnte die Einnahmen aus Übertragungsrechten stetig steigern. Was jedoch auffällt: der geringe Anstieg zwischen 2010 und 2014. Rechnet man den Betrag in Euro (mit historischem Wechselkurs) um, sind die Einnahme 2014 sogar geringer, die Inflation mal außen vor gelassen. Als Grund dafür könnte man die für den europäischen Markt ungünstige Zeitverschiebung beim Turnier 2014 anführen, so haben zumindest hierzulande die ÖR begründet, dass sie die Rechte für Brasilien günstiger als für das vorhergehende Turnier erwerben konnten. Seit den Rechtevergaben zur WM 2010 verhandelt die Fifa direkt mit den Sendern. Zuvor übernahm diese Aufgabe die Infront-Agentur, die weltweit exklusiv die Rechte an den Turnieren 2002 und 2006 handeln durfte. Eine Goldgrube, der Blatters Neffe Philippe vorsteht. Zuvor war für diese lukrative Tätigkeit die zwielichtige und von der Fifa lange gedeckte ISL zuständig, aber das ist ein eigenes Kapitel.

Es verwundert, dass die Fifa auf dem boomenden Fußballmarkt nicht in der Lage war, die Einnahmen signifikant zu erhöhen. Um das zu verdeutlichen, habe ich die Einnahmensituation der Fifa, mit den Zahlen der Champions League und der englischen Premier League verglichen. Die Einnahmen aus Übertragungsrechten habe ich dafür jeweils entsprechend der Fifa-Zyklen aufsummiert. Die nackten Zahlen lassen sich natürlich nicht wirklich vergleichen, da die Frequenz und Anzahl der Spiele zu sehr variiert. Aber die Entwicklung lässt sich vergleichen. Und dabei wird die Ineffizienz der Fifa bei der Vermarktung ihres Goldesels sichtbar.



Die UEFA hatte einen Einnahmeneinbruch Anfang des Jahrtausends zu verzeichnen, der durch die Änderung des Modus (Abschaffung der 2. Gruppenphase) bedingt war. Noch im ausgehenden Jahrtausend hatte die Europäische Kommission die UEFA für ihre Praxis bei der Vergabe von Übertragungsrechten gerügt. Die Rechte wurden nämlich, ähnlich der Fifa, ursprünglich als ein riesiges Gesamtpaket über mehrere Jahre verkauft. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht kritisch. Die UEFA lenkte ein und änderte ihr Vorgehen. Über die Jahre erkennt man einen satten Anstieg der Einnahmen.

In noch stärkerem Maße gilt das für die britische Premier League, die nach den Rechteverhandlungen stets deutlich besser dotierte Verträge vorweisen konnte. So unglaublich die Summen aus England auch klingen mögen, sie scheinen der gestiegenen Nachfrage zu entsprechen. Die Fifa kann bei diesem Wachstum nicht mithalten und muss sich fragen, ob sie sich mit ihrer verfilzten Struktur nicht selbst im Weg steht. Die Antwort aus Zürich würde wohl "nein" lauten, denn schließlich reichen die Einnahmen, um den Personen am Hebel die Taschen zu füllen und nebenbei noch ein paar öffentlichkeitswirksame Förderprogramme zu unterhalten. Aber wer weiß, wie viel höhere Einnahmen man mit dem wichtigsten Sportereignis auf Erden einfahren könnte? Vermutlich genug, um nicht nur einen Bolzplatz sondern gleich eine ganze Multifunktionsarena mit angeschlossenem Nachwuchsleistungszentrum auf jedem Karibik-Eiland zu errichten. Die Fifa-Granden könnten wohl sogar noch mehr verdienen als bisher, so viel Geld könnte eine Fußball-WM abwerfen. Aber solange die mannigfaltigen internen Abhängigkeiten bestehen und der Fußballweltverband der Inbegriff der institutionalisierten Vetternwirtschaft bleibt, wird es dabei bleiben, dass die Fifa ihr wichtigstes Produkt unter Wert verkauft.



Die Herkunft der Daten
Fifa - Fifa Financial Reports
Uefa - Uefa Financial Reports, vor 03/04 sind die Daten ungenau - sie stammen aus einer Uefa-Grafik sowie von Schätzungen der Europäischen Kommission
Premier League - Guardian

Disclaimer
Die Daten habe ich nach bestem Wissen zusammengestellt - wer genauere Zahlen liefern kann, der kann sich gern an mich wenden. Die entsprechenden Beträge wurden unter Berücksichtigung der historischen Wechselkurse (bspw. Summe 2003-2006 mit Wechselkurs 2006) in Euro umgerechnet. Wer hier eine bessere Vorgehensweise parat hat - ich übernehme sie gern.






Sonntag, 10. Mai 2015

Große Geste - FC Bayern verzichtet auf die Meisterschale

Ein Jahr ohne mindestens zwei Titel ist möglich, aber sinnlos. Zumindest beim FC Bayern München. Die aktuelle Spielzeit ist eine waschechte Seuchensaison: DFB-Pokal-(Rutsch)Aus im Halbfinale, minimale Chancen auf das Erreichen des Champions-League-Finals, aktuell 4 (in Worten vier) Pflichtspielniederlagen in Folge. Darüber täuscht auch der Gewinn des prestigeträchtigen Telekom-Cups im Juli 2014 und die verhältnismäßig spät errungene Meisterschaft nicht hinweg.

In München möchte man die aktuelle Spielzeit schon jetzt abhaken und den Meistertitel am liebsten gar nicht haben. Was nutzt er auch ohne einen 2. Pokal. Aus Insiderkreisen ist zu erfahren, dass man sich deshalb zu einer großen Geste entschlossen hat: Auf der Meisterschale soll für diese Saison nicht etwa "FC Bayern München" eingraviert werden. Der Verein möchte den vakanten Platz auf der Schale für einen wohltätigen Zweck versteigern. Dies sei ein ausdrücklicher Wunsch der Spieler, so heißt aus FCB-Kreisen.

2015 ohne die Bayern - die Meisterschale / von Florian K.
via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 
In Kürze startet eine offizielle Auktion, an der sich jedermann beteiligen kann. Hiesige Sportwettenanbieter und ein Münchner Saunaparadies haben bereits Interesse bekundet. Die Einnahmen der Auktion sollen der wohltätigen Vereinigung "Ehrgeiz ohne Grenzen" zu Gute kommen, die sich um die Nöte gefallener Topmanager kümmert.

Von der DFL war zu erfahren, dass man den Bayern ihren Wunsch nicht abschlagen könne in Anbetracht des prekären Saisonverlaufs. Auch Teile der Fanbasis des FC Bayern begrüßen den Schritt, so sprach ein Sprecher des Fanclubs "Nur das Tripel zählt" von einer "Aktion mit Signalwirkung die dem Anspruchsdenken des FCB entspricht".

Dieser Beitrag ist Satire

Donnerstag, 26. März 2015

Ohne Pause - Ein Jahr im Kreis #11

Die Lethargie der Winterpause - inneres Verrosten durchs Nichtstun. Nichtstunkönnen. Verlust sämtlicher Kondition und der Kontrolle über den eigenen Körper. Doch nicht in dieser Saison, nicht in diesem Jahr. Diesmal bin ich ehrgeizig, diesmal greife ich an und komme stärker wieder als in der ausgehenden Hinrunde. Ich werde fit sein, ich werde da sein, die anderen werden hecheln, ich die Außenlinie hoch- und runterlaufen. Tschakka!

So oder so ähnlich muss ich gedacht oder gefühlt haben, in dem Moment, in dem ich beschloss, mitten im Januar wieder ins Training an der frischen Luft einzusteigen. Mehr Wille als Mensch. Anders kann ich mir das nicht erklären. Wo war die mich sonst in den Wintermonaten auszeichnende Faulheit geblieben? Der Gedanke, dass ein Vergangenheits-Endreas der Kälte trotzend zum Training mitten in der kalten Jahreszeit aufkreuzte, befremdet mich. Ich schaue von außen auf mein jüngeres Ich und schüttele den Kopf: Wozu dieser nutzlose Ehrgeiz? Willst du wegen dem Kreisklassenfußball an einer Lungenentzündung sterben oder im Angesicht des Winters reinholdmessneresk deine Gliedmaßen erfrieren lassen? Damals wollte ich das so. Heute erscheint es mir wie die Besteigung des K2 ohne Sauerstoffmaske.

Mein Enthusiasmus wurde zum Glück ein bisschen ausgebremst. Zeittechnisch konnte ich immer nur den Trainingstermin wahrnehmen, an dem ausschließlich "meine" 4. Mannschaft trainierte - keine Trainingsgruppe 1 und 2 mehr, es würde wohl eher auf Trainingsgruppe 3 hinauslaufen. Und so ging ich auf gut Glück zu meiner ersten Trainingseinheit im neuen Jahr - wer wohl aufkreuzen würde? Nicht viele. Nur wenige Irre kamen auf die Idee, mitten im Januar an ihrer Rückrundenform arbeiten zu wollen. Ich kann nicht mehr genau sagen, ob wir zu viert oder zu fünft waren, aber so konnte man kein ordentliches Training machen.

Was nun? Zwei Stunden im Kreis laufen, sich stupide den Ball zuschieben oder auf die Taktiktafel starren. Das Alles, und vor allem der Punkt mit der Taktiktafel, wären hochnotpeinlicher Murks geworden. Es gibt sicherlich tolle motivierende Trainingsformen, mit denen man sich 2 Stunden in der Winterkälte beschäftigen kann - allein uns stand kein Konzepttrainer, besser gesagt überhaupt kein Trainer zur Seite. Zumindest kein Trainer wie man ihn sich im engeren Sinne vorstellen würde. Die 4. Mannschaft war eine sich selbst verwaltende chaotische und inhomogene Masse Mensch, die ab und an elf Mann für die Spiele zusammenbekam. Trainiert wurde autark mit spontan frei erfundenen oder abgekupferten Übungen, die manchmal sogar in Selbstkasteiung übergingen, wenn man im Kollektiv entschied, die Hälfte der Übungszeit auch Flanken mit links zu üben. Kurz gesagt: Nie im Leben hätten wir zu fünft ordentlich trainiert.

Aber da war ja noch jemand, der zur gleichen Zeit trainierte - das Frauen-Team. Komischerweise standen die Frauen selbst im Januar in Mannschaftsstärke zum Training bereit - inklusive zackigem Trainerstab. Man könnte, man sollte doch...ich war erstaunt, wie schnell und einstimmig die Entscheidung getroffen wurde sich der Trainingsgruppe anzuschließen. Auf dem Dorf, wo ich das Fußballspielen erlernt habe, hätte man diesen Lösungsvorschlag maximal im Scherz ausgesprochen, um sogleich ein paar stereotype Herrenwitze hinterherzuschieben. Hier war man glücklicherweise offener und sofort bereit, sich den Trainingsplatz mit dem anderen Geschlecht zu teilen.

Trotzdem keimte in mir etwas Unsicherheit auf. Waren die Mitspieler wirklich so offen, wie sie taten? War ich so offen, wie ich dachte, dass ich war? Oder steckte in mir ein kleiner Chauvi, ein Macho oder noch schlimmer...ein Mario Barth, der durch das Training zum Leben erweckt werden und seine hässliche Fratze zeigen würde?

Ich werde jetzt an dieser Stelle nicht lange Spannung aufbauen und beantworte die gerade rhetorisch gestellte Frage direkt mal mit: Nein! In dieser und den folgenden Wochen wurde es zur Gewohnheit, sich der Frauen-Trainingsgruppe anzuschließen, da wir weiterhin nur eine Handvoll Spieler waren. In der gesamten Zeit gab es nicht einen dämlichen Spruch oder Gehabe - weder auf dem Platz noch in der Kabine. Es ist natürlich skuril hier einen Zustand, der eigentlich Normalität sein sollte, als bemerkenswerte Begebenheit zu beschreiben. Aber ich war mir eben nicht ganz sicher, ob dieser Normalzustand erreicht werden würde.

Hatte ich eigentlich schon das zackige Trainerteam der Frauen erwähnt? Kondition schien der zentrale Gedanke der Trainingsphilosophie zu sein. Die Gegner sollten anscheinend in Grund und Boden gelaufen werden: Ausdauerläufe, Aufwärmläufe, Steigerungsläufe, Sprints und Intervallläufe (eine Mischung aus Ausdauerläufen und Sprints) waren fest im Trainingsplan verankert, sehr fest. 

Kondition, Puste für die Rückrunde - ich freute mich auf die Spiele im Frühjahr, aber noch mehr freute ich mich auf das Ende der Intervallläufe, wenn ich mich mal wieder keuchend, fast kriechend über den Platz schleppte, bis zum nächsten Sprint.



Freitag, 20. März 2015

Il Fenômeno auf Dreck - Ein Jahr im Kreis #10


Im Juli 2013 stellte ich fest:

Inzwischen, auch wenn einige Zeit ins Land gegangen ist, konnte ich meine Aussage widerlegen. Es ist mir gelungen, meine kleine Serie über eine Saison in der Kreisklasse weiterzuspinnen, langsam zwar, aber immerhin. Steter Tropfen. Für kommende Woche kündige ich hiermit mal vollmundig eine Fortsetzung an.

Bis dahin kann der geneigte Leser HIER die bisher auf diesem Blog erschienenen neun Texte durchstöbern. Text Nummer zehn erschien bei 120minuten, wo sich, wenn ich das richtig sehe, noch nicht einmal einhundert Augenpaare daran satt gesehen haben. Deshalb empfehle ich in Anbetracht der hier angekündigten Fortsetzung kommende Woche unbedingt die Lektüre von Teil 10 bei 120minuten:

Il Fenômeno auf Dreck

Eiseskälte, Aussätzige im Wald und ein Comeback nach Verletzung. Selbst ein Kellerduell in der Kreisklasse hält eine ganze Reihe von Geschichten bereit, die es wert sind, erzählt zu werden.



Montag, 16. März 2015

Minenfeld

Am Anfang meiner Recherche standen viele Fragezeichen - wer ist wer, was ist was?

Alles in Abchasien und Südossetien hat mindestens drei Namen - einen georgischen, einen russischen und einen abchasischen/ossetischen. Wie ich in meinem aktuellen Text einen Ort, einen Fluss, einen Fußballverein nenne, ist also schon fast ein politisches Statement. Nenne ich die größte Stadt Abchasiens "Suchumi" ist das der georgische Name und ich schlage die Stadt damit in gewisser Weise Georgien zu, was dem westeuropäischen Sprachgebrauch und auch der landläufigen Haltung, dass die Region, ihre Unabhängigkeit nicht anerkennend, Teil Georgiens ist, entspricht. Georgische Namen erkennt man in der Regel am "i" am Ende - Fans des SC Freiburg wissen, wovon ich rede.

Wenn man sich dann mit den Fußballklubs der Region befasst, kommt erstmal weitere Verwirrung auf - viele Klubs gibt es mehrmals - als Verein in der Region selbst und als Exilklub in Georgien. Viel Raum also für Verwirrung und Fehler gepaart mit einer dünnen Informationslage - kann das gut gehen?

Kurz nach der Veröffentlichung des Textes bekam ich postwendend Anmerkungen von meinem Interviewpartner aus Abchasien - ich hatte ihn mit einem Namensvetter verwechselt und ihm so einen Regierungsposten angedichtet, ich wusste außerdem nicht, dass der langjährige Präsident des wichtigsten Fußballklubs nicht mehr dessen Präsident war, ich war ebenfalls nicht korrekt über den Status des NATO-Beitritts Georgiens informiert und mein Größenvergleich Abchasiens mit Schleswig-Holstein würde Abchasien kleiner machen, als es ist.

Was mir darüber hinaus Sascha, ein Kenner der Region, mitteilte: meine Wortwahl bezüglich der "abgeriegelten" Grenze zu Russland war ebenfalls unpassend, da Russland zwar mit einer Schließung der Grenzen während der Winterspiele in Sotschi drohte, diese aber nicht umsetzte. Und die korrekten Bezeichnungen für alle Orte, Klubs und Flüsse habe ich wohl auch nicht durchgehend benutzt. Ein Minenfeld.

Aber das hat auch in gewisser Weise den Reiz des Themas ausgemacht. Inzwischen habe ich den Text entsprechend aktualisiert (Abchasien ist immer noch "etwas mehr als halb so groß wie Schleswig-Holstein"). Ich denke, auch wenn im Detail noch der ein oder andere Fehler steckt - der Text gibt einen Einblick in die Situation und den Fußball in der Region und wahrt dabei Objektivität. Deshalb - würde mich freuen, wenn ihr bei 120minuten vorbeischaut und reinlest:

bei 120minuten lesen: Im Niemandsland